Buchpräsentation: Das „fremdvölkische“ Kinderheim in Spital am Pyhrn 1943-1945

Die Soziologin und historische Sozialforscherin Maria Prieler-Woldan präsentiert am 10. April um 19 Uhr im NordbahnSaal ihr Buch „Vielleicht hätte ich eine Familie. Vielleicht hat jemand um mich geweint. Das ‚fremdvölkische‘ Kinderheim in Spital am Pyhrn 1943–1945.“ Im NordStern*-Interview berichtet sie von ihrer Recherche.

In Spital am Pyhrn (Oberösterreich) war von 1943 bis 1945 in einem aufgelassenen Gasthof ein sogenanntes „fremdvölkisches“ Kinderheim eingerichtet, betrieben von der „Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt“ (NSV). Dort waren 106 Säuglinge polnischer, ukrainischer und russischer Zwangsarbeiterinnen untergebracht, die man diesen kurz nach der Entbindung weggenommen hatte, um die Arbeitskraft der Mutter maximal auszubeuten. Die Kinder wurden – entsprechend der nationalsozialistischen Ideologie – als minderwertig betrachtet und daher mangelhaft ernährt, gepflegt und geliebt. Viele starben durch vorsätzliche Vernachlässigung nach ein paar Wochen oder Monaten, 47 Todesfälle sind archivarisch belegt, als Todesursachen scheinen, neben Unterernährung, Magen- und Darminfekte, Hautausschläge und Geschwüre sowie sogenannte „Lebensschwäche“ auf. Die überlebenden Kinder wurden nach 1945 in „children’s homes“ gesammelt und als „Waisen“ in ihre vermutlichen Heimatländer repatriiert. Zumeist adoptiert, suchten sie später, oft erfolglos, nach ihren leiblichen Eltern und Spuren ihrer Herkunft. Die vorliegende Forschungsarbeit zeichnet in Erinnerungen, Dokumenten und amtlichem Schriftverkehr Entstehung und Betrieb des Heims in Spital am Pyhrn nach. Eine Datenbank zu den verstorbenen Kindern sowie Interviews mit Überlebenden runden die Arbeit ab.


NordStern*: Frau Prieler-Woldan, wie sind Sie auf die Geschichte des Kinderheims in Spital am Pyhrn gestoßen?

Maria Prieler-Woldan: Ich wusste lange nichts von diesem NS-Verbrechen. Über mein vorletztes Buch über den Widerstand einer Salzburger Bergbäuerin wurde Susanne Lammer auf mich aufmerksam, die sich in Spital um die Gedenkarbeit kümmert. Sie gab mir einige Infos, wir fuhren zum Gedenkort, und da wusste ich, das wird nun auch mein Thema.

NordStern*: Wie hat sich die Recherche gestaltet? Wie gut ist die Dokumentation erhalten?

Prieler-Woldan: Es gab seit etwa 2000 Vorarbeiten von der Historikerin Gabriella Hauch, von Susanne Lammer und Martin Kranzl-Greinecker, der ebenfalls in der Gedenkarbeit aktiv ist. Es gibt keine Dokumentation, sondern dort und da viele kleine Puzzleteile, in der Gemeinde, in Stadt- und Pfarrarchiven, in Erinnerungen und anderen Quellen. Die setzt man/frau zusammen, es bleiben aber offene Stellen und Fragen. Wenn es auch jetzt ein Buch gibt: Das Forschen hört nie auf.

NordStern*: Sie haben auch mit Überlebenden von damals gesprochen. Wie haben sich die Biografien der damaligen Babys und Kinder entwickelt?

Prieler-Woldan: Sie alle prägt eine große Ungewissheit, was ihre Herkunft betrifft, oft eine lebenslange Suche nach der leiblichen Mutter bzw. Eltern. Zumeist wurden sie nach 1945 nach Polen transferiert und dort adoptiert, durch den Eisernen Vorhang konnten sie bis 1990 kaum an Dokumente kommen oder ausreisen. Eine Betroffene wurde als Baby verwechselt. Sie wusste weder etwas über ihre Mutter noch ihr Geburtsdatum. Diese 1943 oder 1944 Geborenen sind die letzten noch lebenden Opfer des Nationalsozialismus

NordStern*: Was erinnert heute vor Ort an das Kinderheim von damals?

Seit 2014 gibt es in Spital am Pyhrn (Oberösterreich) bei der Friedhofskirche St. Leonhard außen am Turm zwei Gedenktafeln in Polnisch und in Deutsch. Seither findet jährlich im Mai, am Freitag vor der Befreiungsfeier in Mauthausen, eine Gedenkveranstaltung statt, zu der in den Jahren vor Covid auch noch eine kleine Delegation von Überlebenden angereist ist.   

Tickets für die Lesung gibt es hier.